Sorgen um die eigenen Kinder begleiten wohl alle Eltern. Sorge, dass ihnen etwas zustoßen könnte. Sorge, dass sie von anderen Mitmenschen nicht gut behandelt werden. Aber wann wird aus Sorge Angst?
„Angst ist ein Grundgefühl, das sich in als bedrohlich empfundenen Situationen als Besorgnis und unlustbetonte Erregung äußert. Auslöser können dabei erwartete Bedrohungen, etwa der körperlichen Unversehrtheit, der Selbstachtung oder des Selbstbildes sein.“ So die wikipedia-Definition
Damit ist Angst etwas Unmittelbares, Nahes, ein als real empfundenes Gefühl, das irgendwie näher gerückt ist als bloß eine Sorge. Angst geht zeitlich und räumlich einen Schritt weiter. Die Sorge, dass meinem Kind auf dem Schulweg etwas geschehen könnte ist etwas anderes als die Angst wenn das Kind tatsächlich nicht nach Hause gekommen ist. Der Psychologe T.D. Borkovec definieret Sorgen als eine Gedanken- und Vorstellungskette (Assoziationskette), die mit negativen Gefühlen einhergeht. Dabei handelt es sich um eine Aufmerksamkeitsverschiebung auf Befürchtungen und mögliche negative Folgen. Für einen meiner Lieblingsschriftsteller Albert Camus bedeutet Sorge das „Bemühen um das Glück des Nächsten und zum opferbereiten Einsatz für andere, gleichbedeutend mit menschlicher Solidarität“. Natürlich, ich sorge mich um das Glück, das Wohlergehen, meines Kindes. Dabei ist es erstmal völlig egal, ob das Kind gesund, krank, dick, dünn, Junge oder Mädchen ist.
Aber natürlich begleiten denjenigen, der ein Kind mit einer Behinderung, einer schweren Krankheit oder einem Handicap hat, die ein oder anderen Sorgen mehr als bei einem Kind, das sich „nur so“ in dieser nicht immer einfachen Welt behaupten muss. Als Marie auf die Welt kam, waren mein Herz und mein Kopf voll von Sorge. Wie soll das werden mit einem tauben Mädchen? Wie werde ich mit meinem Kind kommunizieren können? Wie soll ich es erziehen? Wird es mal auf eine normale Schule gehen können? Wie soll sie sich im Straßenverkehr, in der lauten, hektischen Welt da draußen zurecht finden? Wird sie einmal in der Lage sein, den Beruf auszuüben, den sie sich vorstellt?
Fragen über Fragen gingen durch meinen Kopf – getrieben von der Sorge um mein durch eine Virusinfektion gehörloses Kind, die auch trotz vieler gutgemeinter Ratschläge nicht verschwand.
Aber Angst? Nein, Angst empfand ich nicht. Es war kein lähmender Zustand, kein Gefühl, das mich völlig aus meiner Lebenswelt herausriss. Im Gegenteil, gerade die Anfangszeit war – aus naheliegenden Gründen – recht ausgefüllt mit organisatorischen Dingen, Arztterminen, Entscheidungen, die zu treffen waren, etc. Das ist ja auch oft so bei einem Trauerfall, bei dem man zu Anfang so viel organisieren muss, dass man gar nicht dazu kommt zu trauern…
Sorge ja, die war da. Ebenso wie Traurigkeit. Aber Angst empfand ich eigentlich – wenn überhaupt – nur unmittelbar vor und während der beiden OPs. Die Stunden als mein Baby im OP-Saal lag, waren lang und von Hoffen und Bangen geprägt. Doch schon bei der zweiten OP wich die Angst eher einem ungeduldigen, drängenden Warten, das ich endlich hinter mich bringen wollte. Jeder geht mit seiner Angst, seinen Sorgen anders um. Ängste gehören zum Leben. Kurzfristige Angst ist auch etwas Positives – sie macht uns von einem Moment auf den nächsten wachsam, versetzt unseren Körper in einen Alarmzustand, der uns kurzfristig zu Höchstleistung anspornt. Aber wir dürfen nicht zulassen, dass uns die Angst dominiert und unser Leben bestimmt.
Und wir dürfen nicht den Fehler machen, unsere Ängste auf unsere Kinder zu projizieren. Meine Ängste und Sorgen müssen nicht gleich mit den Ängsten meines Kindes sein. Das Schöne am Kindsein ist doch diese Unbeschwertheit, die natürlich positive Einstellung zum Leben. Wer noch kaum schlechte Erfahrungen gemacht hat, nicht weiß, wie grausam manchmal die Welt sein kann, der muss sich nicht fürchten. Klar, auch Kinder fürchten sich – vor der Dunkelheit, vor dem Alleinsein, vor Verlust. Je nach Alter kommen erweiterte Verlustängste, Angst vor Ausgrenzung und Zurückweisung hinzu. Das ist ein normaler Prozess. Ich sehe meine Kinder als eigene Persönlichkeiten, die natürlich das Recht haben, eigene Ängste zu entwickeln und lernen, damit umzugehen. Ich als Mutter kann ihnen das nötige Rüstzeug in ihren Rucksack des Lebens packen, sich ihren Ängsten zu stellen und konstruktiv damit umzugehen.
Ganz konkret: Ich muss meine Sorge, dass Marie in der Schule Probleme haben wird, weil sie auf eine Art und Weise benachteiligt ist, mit mir selber ausmachen. Oder mit meinem Partner besprechen, nicht aber mit meinem Kind. Schließlich will ich keine Self-fullfilling prophecy. Marie wird ihre Erfahrungen machen. Ich kann sie nicht vor Allem beschützen. Sie wird Rückschläge erfahren, besondere Herausforderungen und Menschen begegnen, die ihr weniger Verständnis entgegenbringen als ihre Mutter. Aber ich werde für sie da sein und ihren Rucksack entsprechend voll packen, mit allem Equipment, was sie für ein selbstbewusstes, angstfreies Leben braucht.
1 Kommentar Neues Kommentar hinzufügen
Sehr schön geschrieben
.