„Es gibt für fast alles eine Lösung.“
Dieser Satz eines HNO-Spezialisten hatte eine sehr beruhigende Wirkung auf mich.
Als sich herausstellte, dass Marie taub ist, war es für mich als Mutter sehr schlimm, dass mich mein Baby nicht hören konnte. Ich konnte sie nicht in den Schlaf singen, sie nachts nicht mit meiner Stimme beruhigen, sie nicht trösten wenn sie in der Babyschale im Auto hinter mir weinte.
Die Gehörlosenwelt, ihre Kultur und ihre Sprache, waren für mich bis zu diesem Zeitpunkt eine fremde Welt, zu der ich – wie die meisten anderen Menschen wohl auch – vorher kaum Berührungspunkte hatte, außer dass man hin und wieder Menschen im Fernsehen oder auf der Straße gebärden sah.
Ich kannte bis dahin nur die hörende Welt und war ganz selbstverständlich Teil von ihr und all ihren Ritualen. Gute Ratschläge kamen mir in Erinnerung, die der werdenden Mutter empfehlen, viel mit ihrem ungeborenen Kind zu sprechen, da das Baby schon im Mutterleib die Stimme der Mutter wahrnehmen und erkennen kann Ab der 26. Schwangerschaftswoche nehmen Ungeborene nämlich Außengeräusche wahr. Welche Mama kennt nicht die Empfehlung, dem Ungeborenen klassische Musik vorzuspielen, damit es vermeintlich klüger wird. Wobei dieser so genannte „Mozart-Effekt“ nicht bewiesen ist, vermuten Wissenschaftler, dass Hörgewohnheiten bereits im Bauch geprägt werden.
Dieses Nicht-kommunizieren-Können mit meinem Kind war sehr schlimm für mich. Ich konnte ja noch keine Gebärdensprache. Intuitiv war der Körperkontakt zu meiner Tochter immens wichtig. Babys lieben kuscheln ja ohnehin und wollen am liebsten den ganzen Tag getragen werden. Ich war schon bei meinem Sohn eine „Trage-Mami“, auf den Kauf des Kinderwagens hätten wir gut verzichten können. Wichtigstes Utensil war unsere Babytrage, und das bis in’s Kindergartenalter.
Aber ich gebe auch offen zu, dass es auch sehr anstrengend war. Zum einen gibt es natürlich Situationen, um die ich froh gewesen wäre, einfach mal in’s Nebenzimmer rufen zu können „alles gut, Mami kommt gleich!“, zum anderen hatte ja auch der ältere Bruder, der zu Maries Geburt noch keine zwei Jahre war, ein Bedürfnis und das Recht auf ausgiebige Kuscheleinheiten mit seiner Mama.
Gebärden war und ist für mich schwer. Ich hatte gefühlt nie eine, geschweige denn zwei Hände frei, und fragte mich, wie ich denn da – wenn ich es denn könnte – gebärden soll!
Gerade im ersten Jahr, wo so Vieles neu war, wichtige Entscheidungen zu treffen waren, wir ständig von einem Arzt zum nächsten liefen, zwischen Hoffen und Bangen waren, ob Marie die Therapie mit dem Virostatikum verträgt und keine anderen bleibenden Schäden aufgrund der cmv-Infektion hat, war in meinem Kopf kein Platz, eine neue Sprache zu lernen.
Ich war und bin zutiefst geschockt ob der Kluft, die die Gehörlosen-Welt durchzieht. Denn es gibt hier leider ausgesprochene CI-Gegner. Die Gründe hierfür sind vielfältig, einer davon liegt wohl in der Angst begründet, die Gehörlosenkultur und damit ihre Sprache, könne durch die Hörprothesen aussterben. Dann trifft man auch immer wieder auf Eltern, die mit einer Implantation warten bis ihr Kind selbst entscheiden kann.
Natürlich ist eine Implantation ein operativer Eingriff in den Körper, aber ich bin der festen Überzeugung, dass das keine Entscheidung ist, die man auf die lange Bank schieben kann und seinem Kind für die späte Zukunft mitgeben kann.
Wahlfreiheit für beide Welten, nicht zwischen den Welten
Für die Sprachentwicklung eines Menschen ist es wichtig, so früh wie möglich hören zu können. Ärzte nennen hier die ersten drei Jahre entscheidend, da sonst das Sprachzentrum im Gehirn verkümmert.
Für uns war es von Anfang an klar: Unsere Tochter ist in eine Familie Normalhörender geboren worden und wenn es irgendeine Möglichkeit gibt, ihr das Hören zu ermöglichen, werden wir das nutzen.
Entscheiden sich Erziehungsberechtigte – aus welchen Gründen auch immer – gegen ein Implantat, wird ihrem Kind ein entscheidender Teil der Welt der Normalhörenden nicht zugänglich gemacht. Mit einer Implantation bietet sich den Kindern die Möglichkeit, sich zwischen der Welt der Normalhörenden und der der Gehörlosen zu entscheiden, nachdem sie beide Seiten erfahren haben. Es steht meiner Tochter frei, ihre CIs abzunehmen, wenn sie das möchte. Später wird sie vielleicht intensiv Kontakt zu anderen gehörlosen Menschen haben, dort Freunde finden, ihre Sprache lernen.
Sie wird immer die Wahl haben, sich für beide Welten entscheiden zu können und nicht zwischen beiden Welten entscheiden zu müssen.
HINWEIS:
Ein Text, der sich mit der diffizilen Entscheidung für oder gegen CI, beschäftigt und der im Übrigen auch meine Meinung widerspiegelt, findet sich auf der Seite des Bayerischen Cochlea Implantat Verbands: https://www.bayciv.de/texte/articles/versorgung-mit-einem-cochlea-implantat.html.
Klare Entscheidung für das Hören
„Es gibt für fast alles eine Lösung.“
Dieser Satz eines HNO-Spezialisten hatte eine sehr beruhigende Wirkung auf mich.
Als sich herausstellte, dass Marie taub ist, war es für mich als Mutter sehr schlimm, dass mich mein Baby nicht hören konnte. Ich konnte sie nicht in den Schlaf singen, sie nachts nicht mit meiner Stimme beruhigen, sie nicht trösten wenn sie in der Babyschale im Auto hinter mir weinte.
Die Gehörlosenwelt, ihre Kultur und ihre Sprache, waren für mich bis zu diesem Zeitpunkt eine fremde Welt, zu der ich – wie die meisten anderen Menschen wohl auch – vorher kaum Berührungspunkte hatte, außer dass man hin und wieder Menschen im Fernsehen oder auf der Straße gebärden sah.
Ich kannte bis dahin nur die hörende Welt und war ganz selbstverständlich Teil von ihr und all ihren Ritualen. Gute Ratschläge kamen mir in Erinnerung, die der werdenden Mutter empfehlen, viel mit ihrem ungeborenen Kind zu sprechen, da das Baby schon im Mutterleib die Stimme der Mutter wahrnehmen und erkennen kann Ab der 26. Schwangerschaftswoche nehmen Ungeborene nämlich Außengeräusche wahr. Welche Mama kennt nicht die Empfehlung, dem Ungeborenen klassische Musik vorzuspielen, damit es vermeintlich klüger wird. Wobei dieser so genannte „Mozart-Effekt“ nicht bewiesen ist, vermuten Wissenschaftler, dass Hörgewohnheiten bereits im Bauch geprägt werden.
Dieses Nicht-kommunizieren-Können mit meinem Kind war sehr schlimm für mich. Ich konnte ja noch keine Gebärdensprache. Intuitiv war der Körperkontakt zu meiner Tochter immens wichtig. Babys lieben kuscheln ja ohnehin und wollen am liebsten den ganzen Tag getragen werden. Ich war schon bei meinem Sohn eine „Trage-Mami“, auf den Kauf des Kinderwagens hätten wir gut verzichten können. Wichtigstes Utensil war unsere Babytrage, und das bis in’s Kindergartenalter.
Aber ich gebe auch offen zu, dass es auch sehr anstrengend war. Zum einen gibt es natürlich Situationen, um die ich froh gewesen wäre, einfach mal in’s Nebenzimmer rufen zu können „alles gut, Mami kommt gleich!“, zum anderen hatte ja auch der ältere Bruder, der zu Maries Geburt noch keine zwei Jahre war, ein Bedürfnis und das Recht auf ausgiebige Kuscheleinheiten mit seiner Mama.
Gebärden war und ist für mich schwer. Ich hatte gefühlt nie eine, geschweige denn zwei Hände frei, und fragte mich, wie ich denn da – wenn ich es denn könnte – gebärden soll!
Gerade im ersten Jahr, wo so Vieles neu war, wichtige Entscheidungen zu treffen waren, wir ständig von einem Arzt zum nächsten liefen, zwischen Hoffen und Bangen waren, ob Marie die Therapie mit dem Virostatikum verträgt und keine anderen bleibenden Schäden aufgrund der cmv-Infektion hat, war in meinem Kopf kein Platz, eine neue Sprache zu lernen.
Ich war und bin zutiefst geschockt ob der Kluft, die die Gehörlosen-Welt durchzieht. Denn es gibt hier leider ausgesprochene CI-Gegner. Die Gründe hierfür sind vielfältig, einer davon liegt wohl in der Angst begründet, die Gehörlosenkultur und damit ihre Sprache, könne durch die Hörprothesen aussterben. Dann trifft man auch immer wieder auf Eltern, die mit einer Implantation warten bis ihr Kind selbst entscheiden kann.
Natürlich ist eine Implantation ein operativer Eingriff in den Körper, aber ich bin der festen Überzeugung, dass das keine Entscheidung ist, die man auf die lange Bank schieben kann und seinem Kind für die späte Zukunft mitgeben kann.
Wahlfreiheit für beide Welten, nicht zwischen den Welten
Für die Sprachentwicklung eines Menschen ist es wichtig, so früh wie möglich hören zu können. Ärzte nennen hier die ersten drei Jahre entscheidend, da sonst das Sprachzentrum im Gehirn verkümmert.
Für uns war es von Anfang an klar: Unsere Tochter ist in eine Familie Normalhörender geboren worden und wenn es irgendeine Möglichkeit gibt, ihr das Hören zu ermöglichen, werden wir das nutzen.
Entscheiden sich Erziehungsberechtigte – aus welchen Gründen auch immer – gegen ein Implantat, wird ihrem Kind ein entscheidender Teil der Welt der Normalhörenden nicht zugänglich gemacht. Mit einer Implantation bietet sich den Kindern die Möglichkeit, sich zwischen der Welt der Normalhörenden und der der Gehörlosen zu entscheiden, nachdem sie beide Seiten erfahren haben. Es steht meiner Tochter frei, ihre CIs abzunehmen, wenn sie das möchte. Später wird sie vielleicht intensiv Kontakt zu anderen gehörlosen Menschen haben, dort Freunde finden, ihre Sprache lernen.
Sie wird immer die Wahl haben, sich für beide Welten entscheiden zu können und nicht zwischen beiden Welten entscheiden zu müssen.
HINWEIS:
Ein Text, der sich mit der diffizilen Entscheidung für oder gegen CI, beschäftigt und der im Übrigen auch meine Meinung widerspiegelt, findet sich auf der Seite des Bayerischen Cochlea Implantat Verbands: https://www.bayciv.de/texte/articles/versorgung-mit-einem-cochlea-implantat.html.
Teile diesen Post: