Chaos-Krankenhaus
Die Behandlung mit dem Virostatikum sollte im Klinikum Rechts der Isar erfolgen, und wir mir für ewig als menschlicher sowie organisatorischer Albtraum in Erinnerung bleiben.
Die dortige Chefärztin der Frauenklinik war leider wenig einfühlsam, stützte sich rein auf wissenschaftliche Fakten (laut denen es nicht gesichert ist, dass die Gabe von Hyperimmunglobulinen in diesem Fall irgendwas bringt) und brachte sogar die Option der Abtreibung in’s Spiel. Ihr Kommentar „Tja, blöd gelaufen“ hallt mir heute, vier Jahre danach, noch nach. Ich aber wollte nichts unversucht lassen und bestand auf die Therapie mit Cytotect.
Eigentlich hätte ich meine Drohung wahr machen sollen als ich sagte „na gut, dann gehe ich eben in die Klinik in der Maistraße“. Leider wusste ich zu dem Zeitpunkt nicht, dass ich dort wahrscheinlich besser aufgehoben gewesen wäre, denn gerade zu dem Zeitpunkt nahmen sie dort an einer Studie zur Behandlung von cmv teil. Die Ärztin im Rechts der Isar aber witterte dann doch ihre Chance: „Wenn Sie von Ihrer Krankenkassen die Kostenübernahme genehmigt bekommen, können Sie die Therapie bei uns machen. Wir verdienen da recht gut daran.“ Das sagte sie mir direkt in’s Gesicht! Aber für mich zählte in dem Moment nur, so schnell wie möglich mit der Behandlung beginnen zu können.
Als ich das Klinikgebäude verlassen hatte, überfiel mich erstmal ein heftiger Weinkrampf.
Es waren nicht nur die verfahrene Situation und die fürchterlichen Szenarien, die mir dargelegt worden waren, die mich zum Weinen brachten, sondern auch die Art und Weise, wie man mich behandelt hatte. Ich verlange von keinem Arzt, dass er mich tröstend in den Arm nimmt, aber ein klein wenig Einfühlungsvermögen und Taktgefühl könnte man von einem Menschen, der sich für den Arztberuf entscheidet und noch dazu mit werdenden Müttern arbeitet, doch erwarten. Ich war mir auf der Station vorgekommen als hätte man bei mir das hoch ansteckende Ebola diagnostiziert.
Ich bekam eine Gesichtsmaske und wurde auf den Gang mit den Krebspatienten gebracht. Nachdem ich die Toilette für eine Urinprobe aufsuchen musste, wurde die komplette Toilette versiegelt und später desinfiziert. Die Ärztin sagte zu mir, ich müsse nun die Öffentlichkeit meiden. Gewisse Vorsichts- und Hygienemaßnahmen sind ja verständlich, aber selbst meine Frauenärztin schüttelte nur ungläubig den Kopf als ich ihr später von meinen Erlebnissen im Krankenhaus berichtete.
Das Cytomegalie-Virus wird in erster Linie durch Schmierinfektionen übertragen, d.h. durch direkten Kontakt mit virushaltigem Speichel (z. B. durch Küssen, den Schnuller des Kindes in den Mund nehmen), Urin, Tränen und eben andere Körperflüssigkeiten. Auf der Ratgeber-Seite des Robert Koch Instituts kann man alles zur möglichen Ansteckungsgefahr, Hygiene- und Schutzmaßnahmen sowie Therapiemöglichkeiten erfahren.
Geduld, Geduld….
Glücklicherweise bekam ich sehr schnell, innerhalb von drei Tagen, das Okay meiner Krankenkasse für die Kostenübernahme. Mit der Behandlung sollte dann unmittelbar begonnen werden. Denn falls die Übertragung auf das Ungeborene zu diesem Zeitpunkt noch nicht stattgefunden haben sollte, so die Hoffnung, sollte die Wahrscheinlichkeit mit einer schnellen Hyperimmunglobulin-Gabe gemindert werden. Aber Schnelligkeit ist in einem großen Klinikum relativ. Diese Erfahrung hat wahrscheinlich schon Jeder einmal mitgemacht, der telefonisch versucht hat, einen Termin in einer klinischen Einrichtung zu bekommen. Jedenfalls war über Tage kein telefonisches Durchkommen zur Schwangeren Ambulanz. Entweder war besetzt oder es schaltete sich der Anrufbeantworter ein, dass das Sprechzimmer überlastet ist und man es zu einem späteren Zeitpunkt wieder versuchen solle. Ab mittags war sowieso Niemand mehr zu erreichen, da war die Leitung dann komplett abgeschaltet. Als ich kurz davor war, mich in meine Astronautenkleidung zu schmeißen und mit Atemschutzmaske in der Klinik einzulaufen, erreichte ich schließlich doch noch Jemanden. Aber nur, weil ich mittlerweile sämtliche mir erdachte Durchwahlnummern durchprobiert hatte und irgendwann zu einer netten Ärztin im Praktikum durchgestellt wurde, die zumindest menschlich noch auf Zack war und sich meiner annahm. Allerdings war durch das ganze Hin und Her eine Woche verstrichen, ohne dass etwas passiert war. Untätigkeit ist für mich so ziemlich der am schwersten auszuhaltende Zustand, noch dazu in so einer Situation.
Schließlich bekam ich einen Termin für drei Tage später (nochmal warten….), und zumindest dann, so hoffte ich, würde alles klappen. Ich stellte mich schon mental auf die ach so einfühlsame Chefärztin ein, was ich mir aber hätte sparen können, denn bei all meinen späteren Aufenthalten in der Ambulanz sah ich sie kein einziges Mal. Allerdings war das auch nicht ideal, denn offenbar hatte keiner außer ihr Erfahrung mit der Behandlung von cmv und Niemand wusste, was besprochen worden war.
Das Medikament Cytotect wurde vom Klinikum bei der Krankenhausapotheke bestellt und, gerade als ich kam, von einem Kurier in einer Kühlbox sicher verpackt, angeliefert. Nun stand ich allein in einem kleinen, isolierte Behandlungszimmer mit der jungen Ärztin vom Telefon, die zwar sehr bemüht war, aber leider überhaupt keine Ahnung hatte. Woher sollte sie auch?
Sie las sich durch den Beipackzettel, recherchierte im Internet und rief schließlich bei der Apotheke an…
Die Gabe mit den Hyperimmunglobulinen erfolgt intravenös, mit einer sehr langsamen Tropfgeschwindigkeit, wodurch sich die Behandlung auf bis zu drei Stunden erstreckt. Dieser Vorgang wird drei Mal im Abstand von vier Wochen wiederholt.
Niemand in dem großen Universitätskrankenhaus wusste, in welcher Dosierung und in welcher Tropfgeschwindigkeit genau die Infusion eingestellt werden sollte, und ob irgendwelche Nebenwirkungen zu erwarten waren. Irgendwann entschied man sich, mich auf die Station zu den Krebspatienten zu legen, die ambulant ihre Chemotherapie erhalten. Die betreuenden Ärzte dort würden schon am besten wissen, sollte ich einen anaphylaktischen Schock erleben. Sehr beruhigend! Nun hieß es, dort für mich ein Bett sowie einen persönlichen Aufpasser zu organisieren. Nach nur zwei Stunden war beides gefunden und die Prozedur konnte losgehen.
Ich war inzwischen auf fast alles gefasst, aber dass die Ärztin dann doch eine halbe Stunde brauchte, um mir die Nadel in die Vene zu setzen („boah, das sind ja die ganz dicken Nadeln, die man da braucht, das hab ich noch nie gemacht!“), strapazierte meine Nerven dann schon noch etwas.
Dann endlich: der erste Tropfen! Und dann irgendwann… der zweite Tropfen! …. eine gefühlte Ewigkeit dann der dritte! Bis auf dass es wirklich extrem langsam voranging, lief aber alles rund und bis auf eine leichte Kälte vertrug ich die Therapie ohne Probleme. Zum Glück hatte ich etwas zum Lesen und genug zu Trinken dabei, und mein Sohn zuhause war bei der Oma in guten Händen. Nie hätte ich gedacht, dass ich erst am späten Abend zuhause eintreffen würde, schließlich hatte ich den Termin im Krankenhaus schon um 09.00 Uhr früh gehabt.Naja, beim zweiten Mal würde sicher alles reibungsloser ablaufen. Durch die Erfahrungen letztes Mal war ich vorgewarnt, und so wollte ich gleich noch am Tag der ersten Cytotect-Gabe den Termin für die nächste ausmachen. „Äh…, da rufen Sie am besten nochmal an. Da müssen wir erst Rücksprache mit der Chefärztin halten, wann wir das das nächste Mal machen.“ Wie bitte?! Dann geht das Ganze ja von vorne los! „Können wir nicht einfach schon mal einen Termin in vier Wochen ausmachen?“ „Nein, können wir nicht.“
Naja, und so wiederholte sich das Spielchen. Diesmal fing ich schon zwei Wochen vorher mit dem Telefonterror an, und irgendwann hatte ich Glück. Beim zweiten Termin, so hoffte ich, würde dafür dann alles schneller gehen. Trotzdem hatte ich wohlweislich wieder die Oma für’s Babysitten meines 1-jährigen Sohnes bestellt. Und wieder war ich gut damit beraten, denn natürlich wusste auch bei der zweiten Behandlungsrunde Niemand Bescheid. Die junge Ärztin vom letzten Mal war nicht da, und so kam ich dann zu einem neuen angehenden Ärztinnen-Mädel, die wiederrum „noch nie diese ultradicke Nadel“ gesetzt hatte. Dafür bewies sie durchaus eine Art Galgenhumor „Wenn das Blut jetzt spritzt, hab ich in Zukunft wenigsten cmv-Schutz“ kicherte sie.
Mit Humor geht alles besser, also stimmte ich etwas unsicher in ihr Lachen mit ein als mich über diese Bemerkung zu ärgern. Dünnhäutig darf man im Krankenhaus nicht sein. Schon gar nicht in einer Uniklinik, wo immer wieder angehende Ärzte im Praktikum hereingeführt werden und die arme cmv-Patientin sehen wollen, die wider jeder wissenschaftlichen Basis auf eine „alternative Behandlung“ besteht und vielleicht ein behindertes Kind zu Welt kriegen wird… (Den dritten Behandlungsverlauf spare ich mir und Euch. Ich glaube, jetzt hat jeder einen Eindruck von dieser Odyssee…)
Niemand kann sagen, was passiert wäre, wenn ich die Therapie mit Cytotect nicht gemacht hätte. Vielleicht wäre alles genau so gewesen. Vielleicht wäre mein Kind hochgradig behindert auf die Welt gekommen. Vielleicht hätte es das Ungeborene überhaupt nicht geschafft. Ich kann nur sagen, dass ich jetzt ein gesundes, fröhliches, lebenshungriges Mädchen habe. Ja, sie ist taub auf die Welt gekommen. Aber damit lässt sich nun wirklich leben.
Wenn ich meine Marie so ansehe wie sie hüpft und tanzt und singt und das Leben umarmt…. nicht auszudenken, wenn diesem kleinen Geschöpf das Leben verwehrt worden wäre!!!
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